Das Penrose-Rätsel

Die Zeitung „The Telegraph“ hat am 14.3.2017 ein Schachrätsel veröffentlicht, mithilfe dessen der britische Mathematiker und Physiker Sir Roger Penrose den Unterschied zwischen künstlicher Intelligenz und menschlichem Bewusstsein untersuchen will. Die abgebildete Aufgabe ist für Menschen relativ leicht, für Computer dafür umso schwerer zu lösen. Mitgegeben wird den Lesern die Aufgabe, zu beobachten und mitzuteilen, wie und wodurch sie auf die Lösung des Rätsels gekommen sind.

R. PenroseThe Telegraph, 2017

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Weiß am Zug hält Remis

Auch die Daily Mail, der Daily Express und die Nachrichten-Webseite Mashable haben über das Rätsel berichtet. Bei Reddit gab es sofort eine wilde Diskussion. Auf Chessbase wurde das Penrose-Rätsel mit einer alten Studie verglichen, deren Lösung Schachcomputern ebenfalls Probleme bereitet:

W.E. RudolphLa Strategie, 1912

Rudolph 1912.png

Weiß am Zug hält Remis

Ungeachtet der Gemeinsamkeit besteht ein wichtiger Unterschied zwischen der Studie von Rudolph und dem Penrose-Rätsel darin, dass erstere eine eindeutige, mehrzügige Lösung hat (siehe unten)*, während für letzteres offenbar gar kein bestimmter Zug sondern eine generelle Handlungsanweisung als Lösung gefunden werden muss. Das ist einerseits ein Grund dafür, warum die Rudolph-Studie etwas „eleganter“ erscheint als das Penrose-Rätsel. Andererseits scheint das Penrose-Rätsel aufgrunddessen besser dazu geeignet zu sein, das Besondere der menschlichen Bewusstseinsleistung zu beobachten.

Was genau tut man? Der erste spontane Blick bei der Lösung des Rätsels geht auf konkrete Züge (cxb5+, c7), deren Konsequenzen der Mensch wie ein Computer berechnen könnte. Sofort stellt sich heraus, dass diese Züge dem Weißen nicht helfen sondern schaden. Auf diese Erkenntnis folgen intuitiv keine zusätzlichen Berechnungen sondern stattdessen Überlegungen zur Gesamtstellung. Was könnte der Aufgabensteller im Sinn gehabt haben? Diese Betrachtungsweise fördert zu Tage, dass der schwarze König und die schwarzen Schwerfiguren eingeschlossen sind und die schwarzen Läufer die weiße Blockade nicht angreifen können. Das Remis ergibt sich folglich daraus, dass Weiß die Blockade aufrechterhalten und nur seinen König bewegen kann.

Welchen Schluss kann man daraus für die Ausgangsfrage ziehen? Eine Besonderheit menschlicher Bewusstseinsleistung scheint offenbar die Fähigkeit zum spontanen Wechsel der Problemlösungsperspektive (oder allgemeiner gesprochen: der Sinnperspektive) zu sein. Im ersten Moment wird überlegt, ob ein bestimmter Zug im Vergleich zu anderen möglichen Zügen Sinn ergibt; im nächsten Moment, ob die aktuelle Stellung insgesamt im Vergleich zu anderen möglichen Stellungen einen besonderen Sinn haben könnte. Für einen solchen Wechsel der Sinnperspektive kann sich der Computer per definitionem nicht entscheiden, anderenfalls wäre er ein selbstbestimmt handelndes Wesen und keine Maschine. – Die Frage ist allerdings, ob ein derartiges spontanes Wechseln der Perspektive nicht auch simuliert werden könnte? Und möglicherweise geschieht der Perspektivwechsel im menschlichen Bewusstsein auch viel weniger spontan und selbstbestimmt als man zunächst meint?

* Lösung der Rudolph-Studie: 1. La4+ Kxa4 (1. … Kc4 2. Lb3+ Kb5 3. La4+) 2. b3+ Kb5 3. c4+ Kc6 4. d5+ Kd7 5. e6+ Kxd8 6. f5.